Der steigende Kosten- und Effizienzdruck ist längst in der Medizintechnik angekommen. Die Durchsätze steigen und die Zykluszeiten sinken. Die vollelektrischen Spritzgießmaschinen der Baureihe E-Motion aus dem Hause Engel sind für den Hochleistungseinsatz im Reinraum gerüstet.
Der Anteil vollelektrischer Spritzgießmaschinen in der Medizintechnik steigt. Vorbild für die Herstellung von Medizinprodukten ist oft die Verpackungsindustrie, in der Schnelllauflösungen selbstverständlich sind. Dabei lassen sich für die Verpackungsbranche entwickelte Maschinenkonzepte und Technologien nicht einfach auf Anwendungen im Reinraum übertragen.
Zu den Kriterien, die für eine elektrische Maschine sprechen, gehört, dass sie schneller und präziser arbeiten als vergleichbare hydraulische Maschinen. Für den Einsatz im Reinraum spricht außerdem, dass sie kein Hydrauliköl benötigen, weniger Wärme abgeben und weniger Partikel in die Umgebung emittieren.
Massezylinderabsaugung, abgedichteter Kniehebel, gekapselte Antriebe und glatte Oberflächen sind bei den vollelektrischen E-Motion-Maschinen von Engel Standard. Um auch den Anforderungen von Schnelllaufanwendungen im Reinraum gerecht zu werden, kommen ein paar weitere konstruktive Besonderheiten hinzu.
Ein Exkurs in die Verpackungsindustrie macht die Anforderungen deutlich: Die auf der E-Motion-Baureihe basierenden vollelektrischen E-Cap-Spritzgießmaschinen zur Produktion von Verschlusskappen für Getränkeflaschen erreichen bis in den hohen Schließkraftbereich von 4.200 kN extrem kurze Zykluszeiten von unter zwei Sekunden. Die enormen Lastwechsel und Beschleunigungen dieser Leistungsklasse und die daraus resultierenden Belastungen für die Maschinenkomponenten wie Kniehebel, Spindeln und Motoren erfordern neue gekapselte Schmierkonzepte sowie verbesserte Lösungen zum Abtransport der lokal entstehenden Wärme. So wird beispielsweise die Bremsenergie ins Netz zurückgespeist und nicht über Bremswiderstände in Wärme umgewandelt.
Ein vollständig schmiermittelfreier Schließbereich ist für eine hohe Produkt- und Prozesssicherheit wichtig, vor allem wenn die Teile nicht automatisiert entnommen werden, sondern frei aus dem Werkzeug fallen. Dies ist zum Beispiel bei Verbrauchsartikeln, die in sehr hohen Stückzahlen produziert werden, der Fall. Um frei fallende Teile zuverlässig vor Schmiermittelkontaminationen zu schützen, hat Engel die Linearführungen der E-Motion-Baureihe gekapselt. Da die Holme lediglich als Zuganker dienen, ihnen aber keine Führungsfunktion zukommt, kommen sie ohnehin ohne Schmierung aus.
In Reinraumausführung ist der gesamte Werkzeugraum der Spritzgießmaschinen mit Edelstahl ausgekleidet, um ihn ebenso wie alle anderen Oberflächen leicht reinigen zu können. Zusatzkomponenten integriert Engel in das Maschinenlayout, was die Reinigung der Anlage weiter vereinfacht. Hierzu gehören zum Beispiel Hydraulikaggregate zur Betätigung von Kernzügen oder Nadelverschlussdüsen im Werkzeug, die innerhalb des Maschinengrundrahmens Platz finden.
Engel bietet nicht nur einzelne Spritzgießmaschinen, sondern komplett integrierte und automatisierte Fertigungszellen für den Einsatz im Reinraum an, wobei das Angebot an GMP-gerechten Peripherieprodukten aus der eigenen Entwicklung und Fertigung kontinuierlich ansteigt. Zur Entwicklung und zum Testen neuer Reinraum-Lösungen betreibt der Maschinenbauer einen eigenen Reinraum.
Wie bei der Maschine gilt es auch in der Peripherie, bereits konstruktiv Partikel- und Wärmeemissionen zu vermeiden. Das beste Beispiel hierfür sind Förderbänder. Noch immer basieren viele im Reinraum eingesetzte Fördersysteme auf Standardlösungen. Selbst wenn sie – ausgestattet mit Edelstahlrahmen und weißen Bändern – optisch die Anforderungen von Medizintechnikproduzenten erfüllen, werden sie häufig als Ursache für Kontaminationen ausgemacht. Als problematisch erweisen sich vor allem Winkelförderbänder mit mehrfach umgelenkten Gurten, da jede Berührung des Förderbands mit Führungsrollen, Zentrier- oder Umlenkvorrichtungen die Partikellast erhöht.
In seinen GMP-gerechten Förderbändern verzichtet Engel deshalb weitestgehend auf Umlenkungen und kombiniert stattdessen mehrere einzelne, gerade Förderbänder miteinander. Dabei sind die Antriebsrollen so konstruiert, dass sich das Förderband ohne zusätzliche Einbauten automatisch zentriert. Es kommen ausschließlich gekapselte Trommelmotoren in Edelstahlausführung zum Einsatz. Sofern die Förderbänder Fertigungsbereiche unterschiedlicher Reinraumklassen verbinden, werden die Motoren im weniger streng regulierten Bereich platziert.
Engel hat die GMP-gerechten Förderbänder gemeinsam mit Kunden aus der Medizintechnik entwickelt. Auch im Dauereinsatz weisen sie nur einen minimalen Abrieb auf, sodass die Partikellast weit unterhalb der Akzeptanzgrenze bleibt.
Die Flächenproduktivität hat im Reinraum als Effizienzkennzahl ein noch größeres Gewicht als in anderen Fertigungsbereichen. Engel hat dies bei allen Neuentwicklungen im Blick. Ein Beispiel hierfür ist der Rohrverteiler aus Edelstahl, der in den verbreiterten Schiebeschutz der Spritzgießmaschine passt. Der Rohrverteiler findet für die kavitätenreine Ablage kleiner Spritzgießteile wie Nadelhalter Einsatz. Die Teile werden von einem Roboter aus dem Werkzeug entnommen und an das Verteilersystem übergeben. Für jede Kavität gibt es ein eigenes Verteilerrohr, das in einem eigenen Beutel endet, damit eine Chargenrückverfolgung bis auf die Ebene einzelner Kavitäten sichergestellt werden kann. Die Beutel hängen dafür in einem Wagen unterhalb des Rohrverteilers, wobei sich für die Qualitätskontrolle einzelne Schüsse ausschleusen lassen.
Für den vollautomatisierten Reinraumbetrieb werden mehrere Wagen in Reihe getaktet. Ein Puffersystem ermöglicht dabei den Wechsel während der laufenden Produktion. Rohrverteiler und Beutelverpackungswagen sind als feste Einheit konstruiert, die sich einfach hin- und herschieben lässt. Auf diese Weise kann die Spritzgießmaschine flexibel auch für andere Produkte eingesetzt werden.
Eine weitere Herausforderung beim Spritzgießen im Reinraum sind die hohen Werkzeugtemperaturen. Zwei Diplomarbeiten, die in den Jahren 2015 und 2016 im Studiengang Medical Engineering an der Fachhochschule Oberösterreich in Linz in Zusammenarbeit mit Engel verfasst wurden, belegen, dass bereits eine Werkzeugtemperatur von 40 °C die Durchströmung des Werkzeugbereichs mit reiner Luft stört. Die vom Werkzeug abgestrahlte warme Luft steigt nach oben und wirkt damit der herkömmlich von oben nach unten gerichteten Reinraumströmung entgegen. Gleichzeitig steigt mit zunehmender Temperatur die Partikellast an. Schon bei einer ungleichmäßigen Durchströmung des Werkzeugbereichs kann es passieren, dass die Spritzgussteile nicht ausreichend mit reiner Luft gesäubert werden und sich Partikel an den Teilen ablagern.
Ab 90 °C herrscht keine konstante Durchströmung mehr und es kommt vor allem nach der Werkzeugöffnung zu Verwirbelungen. Während sich diese bei 90 °C nach vier Sekunden wieder legen, ist bei einer Werkzeugtemperatur von 140 °C die gesamte Luft im Werkzeugraum stark aufgeheizt und es werden verstärkt Partikel emittiert. Erst mit einer Luftgeschwindigkeit von 0,8 m/s konnte in den Versuchen wieder eine ausreichend laminare Strömung nachgewiesen werden. In der betrieblichen Praxis lässt sich die Geschwindigkeit jedoch nicht erhöhen, weil die EU-GMP-Richtlinie eine Luftgeschwindigkeit von 0,45 m/s festlegt.
In den wissenschaftlichen Arbeiten wurden nicht nur wichtige Grundlagen für die weitere Betrachtung von Spritzgießprozessen im Reinraum erarbeitet, sondern darauf aufbauend Lösungsansätze entwickelt. Um auch bei hohen Werkzeugtemperaturen eine hohe Reinheitsklasse gewährleisten, erwies es sich als vielversprechend, das herkömmliche Laminar-Flow-Box-Prinzip im wahrsten Wortsinn auf den Kopf zu stellen. Statt von oben nach unten wurde im Versuchsaufbau die Reinluft von unten nach oben geleitet und die sich nach dem Öffnen des Werkzeugs bildende Nebelwolke nach oben aus dem Werkzeugraum abgesaugt. Unterstützt durch die Thermik gewann die Nebelwolke dabei schon in kurzer Zeit an Geschwindigkeit und wurde stark verdünnt. Simulationen und Berechnungen bestätigten das gute Ergebnis der Technikumsversuche und ermöglichten es, das Verhalten bei Veränderungen in den Umgebungsbedingungen vorherzusagen.
Gemeinsam mit seinem Partner Max Petek Reinraumtechnik hat Engel die Ergebnisse dieser Entwicklungsarbeiten industriell bereits umgesetzt. Die neue Lösung hat das Potenzial, sich vor allem für Hochtemperaturanwendungen als Standard zu etablieren.
Geregelt wird dies mit Verhaltensregeln und Vorschriften, die bei der Herstellung und im Umgang mit den entsprechenden Produkten zu beachten sind. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Einhaltung dieser Regularien nur für pharmazeutische Hersteller, aber nicht für deren Zulieferer. Dennoch kommen Kunststoffverarbeiter, die in diese Branche liefern, nicht an GMP vorbei, da ihre Kunden ausschließlich GMP-gerechte Technik einkaufen.
Die Herausforderung für kunststoffverarbeitende Unternehmen besteht nun aber darin, dass die Gute Herstellungspraxis zwar festlegt, was gemacht und eingehalten werden muss, aber nicht, wie dies zu geschehen hat. Auf Basis seiner langjährigen Erfahrung mit Projekten in der Medizintechnik und im Pharmabereich unterstützt Engel seine Kunden deshalb bei diesem Prozess und übernimmt auf Wunsch die komplette GMP-Dokumentation für die gelieferte Maschine oder Systemlösung.
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* Der Autor: Dipl.-Ing Christoph Lhota ist Leiter Business Unit Medical bei Engel Austria in Schwertberg, Österreich.
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